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Wir brauchen neue Wege, um über Erinnerung nachzudenken

Als im Februar die deutschsprachige Übersetzung des im englischsprachigen Original bereits im Jahr 2009 erstmals erschienenen Buchs "Multidirectional Memory: Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization" des Literaturwissenschaftlers Michael Rothberg herauskam, entzündete sich daran eine neue Debatte um die Erinnerungskultur gerade auch in Deutschland. In Texten etwa in der "Welt" ebenso wie der "taz" wurden Rothbergs Thesen kritisch hinterfragt. Welche aber genau sind das? Das Gespräch mit Rothberg, der an der University of California in Los Angeles lehrt, wurde per E-Mail auf Englisch geführt und später ins Deutsche übersetzt. ZEIT ONLINE: Die Erinnerung ist in die Debatte zurückgekehrt. Wie lässt sich heute an das singuläre Menschheitsverbrechen des Holocausts erinnern – während die Opfer des Kolonialismus, die Kriegsflüchtlinge und Migranten um die Erinnerung an ihre Traumata ringen? Michael Rothberg: Erinnerung findet immer in der Gegenwart statt: Definitionsgemäß stellt sie eine Verbindung zwischen dem Moment des Erinnerns und der Vergangenheit her, an die erinnert wird. Diese grundlegende Eigenschaft des Gedächtnisses bedeutet, dass die Erinnerung an den Holocaust, wie singulär er historisch auch ist, notwendigerweise relational sein wird – das heißt mit anderen Geschichten und mit der Gegenwart, aus der heraus man an ihn erinnert, in Verbindung stehen wird. ZEIT ONLINE: Welche Gegenwart ist das? Rothberg: In den vergangenen 30 Jahren ist das Holocaust-Gedenken globalisiert worden und entwickelte sich zur Grundlage der "negativen Erinnerung" Deutschlands und Europas. So kam es natürlich noch enger in Berührung mit einer Reihe anderer Themen, die zentral für die europäische Identität sind: die Ost-West-Spaltung, die Frage des kolonialen Erbes, die Migration sowie die Flüchtlingsströme, jüngst dann der Aufstieg der Rechtsextremen. All dies geschieht mitten in einem Generationenwechsel, während die Augenzeuginnen des Zweiten Weltkriegs von der Bühne abtreten. Der Holocaust muss selbstverständlich einen herausragenden Platz im kollektiven europäischen Gedächtnis einnehmen. Wir brauchen aber neue Wege, um relational über jene Erinnerung nachzudenken. ZEIT ONLINE: Was meinen Sie mit neuen Wegen? Wie lassen sich die Einzigartigkeit des Holocausts und der Vergleich mit anderen massenmörderischen Verbrechen zusammendenken?

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